Die zweite Unterrichtsstunde

„There is no second chance for a first impression“, hört man so. Das mächtige Internet konnte nach einer Zweiminutenrecherche auch keinen belegbaren Erstaussprecher für dieses Bonmot auftreiben, also bleibt die Schande zunächst auch an keinem hängen, denn genau darum soll’s ja gehen: Wie kann ich einen falschen ersten Eindruck (vielleicht war die erste Unterrichtsstunde einfach nicht gut) bei meinen Schülern korrigieren?

Der erste Eindruck hat nicht geklappt: Die erste Unterrichtsstunde lief nicht, das gewählte Thema hat keinen interessiert, die Medien hatten Hänger, Ruckler oder waren einfach zu leise. Sorgsam vorbereitete Lehrerscherze waren nicht so lustig, wie sie sich im heimischen Arbeitszimmer angehört haben, und der Unterricht hatte neben dem Stundenendgong nur noch noch einen weiteren erkennbaren Höhepunkt, nämlich da, als Tobi in der letzten Reihe vom Stuhl gefallen ist.

Kann alles passieren, und entgegen der landläufigen Meinung ist das zwar schon irgendwie schade, aber eben trotzdem kein Totalausfall. Dazu ein paar einfache Thesen:

1. Kollektive Wahrnehmungen sind immer positiver als die von Einzelpersonen. Beweise? Schonmal in einem Fußballstadion gewesen? Na eben: Der eigene Verein gewinnt fast immer hochverdient, und verliert eher mal wegen Pech, blindem Schiedsrichter oder weil in der zweiten Halbzeit die Sonne blöd gestanden ist.
Übertragen auf die Schulklasse bedeutet das wohl: Die Schüler haben es vielleicht gar nicht so schlimm gefunden.

2. Normalerweise ist Menschen klar, was für einen Eindruck sie erzeugen: Kleidung, Körperhaltung, Stimme… Darüber machen sich Menschen ein paar Gedanken – idealerweise natürlich bevor sie vor der Schulklasse stehen und feststellen, dass sie Frühstücksflecken am Hemd haben.

3. Der so berühmte erste Eindruck umfasst die ersten paar Sekundenbruchteile. Keiner was von der ersten Stunde gesagt, und die Übertragung auf den Lehrerberuf ist wohl eh nicht so einfach. Also: Vielleicht haben die ersten paar Sekundenbruchteile doch gereicht – ein freundliches Lächeln in die Klasse, eine nette Begrüßung. Irgendetwas wird schon geklappt haben.

Also: Schlecht gelaufen, aber wohl korrigierbar, zum Beispiel mit dem…

Achtpunkteplan für die geglückte zweite Unterrichtseinheit

1.) Pünktlich. Wenn die erste Stunde nichts war, muss die zweite gut werden, und dafür muss der Lehrer eben früh ins Klassenzimmer, um gleich mal klarzustellen, dass der ganze Spaß anständig anfängt.
2.) Vorbereitet. Nein, mit Medien nicht umgehen zu können, ist kein total lustiger running gag, sondern nur peinliche Unprofessionalität. Hier geht nichts schief, dafür wird in diesem zweiten Anlauf dann eben auch nichts mehr experimentiert. Das Stundenthema wird gut durchdacht, mögliche Störungen sind auch soweit wie möglich schon vorher eingeplant – in den ersten Schultagen passiert viel; Bücherausgabe, Sportlehrer, die Arbeitsgemeinschaften und Fußballmannschaften zusammenstellen, Schüler, die als Tutoren in jüngeren Klassen mitarbeiten und noch eben schnell etwas ganz wichtiges sagen müssen, und so weiter.
3.) Souverän. Ja, das hat letztes Mal nicht geklappt. Aus der Psychologie wissen wir, dass ich-Botschaften total fair sind, gern gehört werden und einer Kommunikation zwischen gleichberechtigten Partnern sehr dienlich sind. Einen Versuch ist’s sicher wert.
4.) Persönlich. Die ersten paar Schülernamen sollten jetzt sitzen – und dieses Wissen über den wahren Namen einer Sache verleiht Macht, das kennen wir ja aus dem Märchen von Rumpelstilzchen. Irgend wo bekommt man sicher auch einen Sitzplan her, um daheim die Namen zu lernen.
5.) Offen. Wieviel jeder Lehrer von sich erzählen will, ist letztlich Teil der recht ominösen Lehrerpersönlichkeit. Aber ein paar Eckdaten zu Hobbies oder unternommenen Reisen dürfen die Schüler sicher erfahren. Nichts, was Angriffsfläche bietet, so wie die Geschichte vom Strandurlaub, wo man zusammen mit der Clique richtig wüst die Sau rausgelassen hat, aber irgendetwas interessantes, pädagogisch vertretbares wird man ja wohl in den Ferien erlebt haben. Und irgendwann (möglichst bald) sollen ohnehin die Schüler zu Wort kommen, denn …
6.) Intessiert an seinen Schülern muss der Unterrichtende sein, eigentlich immer. Aufrichtiges Interesse, also kein Dialog nach diesem Muster:
L:“Where have you been on holiday?“
S:“Italy.“
L:“Good. Stefanie, and you?“
Nachfragen, Interesse zeigen, sich Details merken und später darauf zurückkommen… Im echten Leben wissen ja auch alle, wie sich Menschen verhalten sollten, also sollte das im Klassenzimmer ja auch machbar sein. Der schöne Nebeneffekt ist, dass das Unterrichtsgespräch dann auch wirklich interessant wird.
7.) Enthusiastisch. Lehrer sind erfolgreich, wenn sie ihren eigenen Unterricht und dessen Inhalte für gut, richtig und sinnvoll halten; diese Haltung überträgt sich auf die Schüler. Also: Mein Fach ist das Schönste, mein Unterricht ist der Tollste, der den Schülern heute passiert, und der Stoff, den ich heute an den Mann bringe, ist toll.
8.) Optimistisch. Es wird jede Stunde ein bisschen leichter, es wird sich Routine einstellen, und überhaupt: Rom wurde nicht an einem Tag gebaut.

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